Urteil des LG Hamburg 2024 (Az. 310 O 227/23) LIAON – rechtlich fundierte Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in der KI-Forschung

Um das Urteil des LG Hamburg 2024 (Az. 310 O 227/23) zu beschreiben:


1. Sachverhalt:

Der Kläger, ein professioneller Fotograf, hatte eines seiner Werke über die Plattform Bigstock zum Verkauf angeboten. Das Bild wurde in einen offenen Datensatz namens „LAION 5B“ aufgenommen, der von LAION e.V., einem gemeinnützigen Verein, veröffentlicht wurde. Dieser Datensatz dient der Forschung im Bereich der KI und beinhaltet Bild-Text-Paare, die für die Entwicklung und das Training großer KI-Modelle genutzt werden. Die Integration des Bildes erfolgte ohne Zustimmung des Urhebers, was der Fotograf als Urheberrechtsverletzung rügte.

Der Kläger argumentierte insbesondere:

  • Seine Nutzungsrechte seien durch die Plattformbedingungen von Bigstock geschützt.
  • Die Vervielfältigung und Verarbeitung des Bildes sei keine gerechtfertigte Nutzung im Sinne des Urheberrechts, auch nicht unter den Schrankenregelungen.

2. Rechtliche Prüfung durch das LG Hamburg:

Das Gericht nahm eine detaillierte Prüfung der relevanten Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) vor und legte diese wie folgt aus:

a) § 60d UrhG – Text- und Data-Mining für die wissenschaftliche Forschung:

  • Rechtsgrundlage: § 60d Abs. 1 UrhG erlaubt die Vervielfältigung und den Einsatz urheberrechtlich geschützter Werke für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung, solange die Nutzung notwendig ist und der Zugriff auf rechtmäßig zugängliche Werke erfolgt.
  • Anwendung auf den Fall: Das Gericht bejahte die Rechtmäßigkeit der Nutzung im Rahmen des § 60d UrhG. Es stellte klar, dass LAION e.V. als gemeinnütziger Verein der wissenschaftlichen Forschung dient und der Datensatz der Forschung und Entwicklung von KI-Systemen zur Verfügung gestellt wurde.
  • Begrenzungen: Obwohl das Gesetz vorsieht, dass der Zugang zu den Werken rechtmäßig sein muss, sah das Gericht die Nutzung durch LAION e.V. als rechtmäßig an, da die Werke öffentlich zugänglich waren und keine maschinenlesbaren Nutzungsvorbehalte vorlagen.

b) § 44b UrhG – Allgemeine Schranke für Text- und Data-Mining:

  • Rechtsgrundlage: § 44b UrhG erlaubt Vervielfältigungen für Text- und Data-Mining, sofern diese ausschließlich durch rechtmäßig zugängliche Werke erfolgen. Anders als § 60d gilt diese Schranke nicht nur für wissenschaftliche, sondern auch für kommerzielle Zwecke.
  • Maschinenlesbare Nutzungsvorbehalte: Das LG Hamburg wies ausdrücklich darauf hin, dass der Kläger sich nicht auf einen wirksamen Nutzungsvorbehalt berufen konnte. Die Klausel der Plattform Bigstock, die „automated programs“ untersagt, genügte nicht den Anforderungen des § 44b Abs. 2 UrhG, da sie nicht maschinenlesbar war.

c) Abwägung der Grundrechte:

Das Gericht nahm eine Grundrechtsabwägung zwischen den Rechten des Fotografen auf Schutz seines geistigen Eigentums (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) und dem Interesse an der Förderung der Forschung (Art. 13 EU-Grundrechtecharta) vor. Es kam zu dem Schluss, dass das Interesse an der Förderung innovativer Technologien hier überwiegt.


3. Bedeutung für das KI-Recht:

a) Wissenschaftliche Forschung als geschütztes Interesse:

Das Urteil stärkt die Position wissenschaftlicher Akteure und gemeinnütziger Organisationen. Es erlaubt, urheberrechtlich geschützte Werke für Forschungszwecke zu verwenden, ohne dass individuelle Genehmigungen erforderlich sind, solange die Schrankenregelungen eingehalten werden.

b) Präzedenzfall für Text- und Data-Mining:

Das Urteil schafft einen wichtigen Präzedenzfall für die Anwendung von § 60d und § 44b UrhG. Die Klarstellung, dass Nutzungsvorbehalte maschinenlesbar sein müssen, um wirksam zu sein, bietet Entwicklern und Rechteinhabern eine klare Orientierung.

c) Förderung der KI-Entwicklung:

Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung offener und frei zugänglicher Daten für die Weiterentwicklung von KI. Sie schafft einen rechtlichen Rahmen, der den Zugang zu Daten ermöglicht, ohne die Rechte von Urhebern unverhältnismäßig einzuschränken.

d) Kritische Grenzen:

Das Urteil hebt jedoch auch Grenzen der Schrankenregelungen hervor:

  • Bei rein kommerzieller Nutzung könnte § 44b Abs. 2 UrhG enger ausgelegt werden.
  • Die Definition von „wissenschaftlicher Forschung“ könnte in künftigen Fällen stärker geprüft werden.

4. Ausblick:

a) Mögliche Berufung:

Der Fall soll vor höheren Instanzen (OLG Hamburg oder BGH) oder sogar vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gelangen. Berufung soll eingelegt sein zum OLG Hamburg. Eine EuGH-Entscheidung könnte klären, wie weit die Schrankenregelungen in der EU angewandt werden dürfen.

b) Auswirkungen auf Plattformen:

Plattformbetreiber könnten verstärkt maschinenlesbare Nutzungsvorbehalte einführen, um die Nutzung ihrer Inhalte für KI-Training einzuschränken. Dies erfordert technische Anpassungen, könnte jedoch den Handlungsspielraum der KI-Entwicklung deutlich einschränken.

c) Gesetzgeberische Anpassungen:

Das Urteil könnte den Gesetzgeber dazu veranlassen, die Schrankenregelungen weiter zu konkretisieren, insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen kommerziellen und gemeinnützigen Nutzungen.

d) Praxis für KI-Entwickler:

KI-Entwickler müssen sicherstellen, dass sie nur rechtmäßig zugängliche Werke nutzen und die Bedingungen der Schrankenregelungen genau einhalten. Offene Datensätze wie „LAION 5B“ werden in diesem Kontext weiterhin eine zentrale Rolle spielen.


Das Urteil des LG Hamburg 2024 stellt einen Meilenstein im Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und technologischem Fortschritt dar. Es ebnet den Weg für eine rechtlich fundierte Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in der KI-Forschung und schafft wichtige Orientierung für Entwickler, Rechteinhaber und den Gesetzgeber.

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